Geschichten

Ehre! Ehre?

Der freundliche junge Kellner mit dem leichten Akzent müsste jetzt eigentlich im Schützengraben verbluten.
Statt dessen bedient er urlaubende solvente Senioren und lächelt beim Tischabräumen unablässig.
Ob er daran zweifelt, was er tut?
Denkt er an die „Pflicht“, die ihn angeblich ruft, sich dem Vaterland zu opfern?
Der Heldentod scheint ihm nicht verlockend.
Aber oft zweifelt er schon.

 

Auf dem Heimweg nach dem Dienst geht er am Kriegerdenkmal des kleinen Dörfchens vorüber.
Mit vaterländischen Symbolen geschmückt, wird dort der jungen Männer gedacht, die in den letzten drei Kriegen gefallen sind.
Aus dem 1000-Seelen-Ort ließen in jedem Krieg mindestens 20 Männer ihr Leben an der Front.
Der Kellner überlegt, worum es in den Kriegen damals überhaupt ging.

 

Bei 1871 fällt ihm dazu gar nichts ein und er beschließt, diesen Krieg mal zu googeln. Was war da eigentlich die Ursache? Und was das Ergebnis?
1914-18 da weiß er schon mehr. Wenngleich verschwommen. Irgendwas mit einem Attentat stand am Ausgangspunkt. Aber warum dann so ziemlich alle Völker Europas gegeneinander kämpften und was rauskam, außer dass, Deutschland verlor, weiß er auch nicht.
Nochmal googeln also.
Und 1939-45, da hat er noch ein Bild. Da hat sein Großvater gegen die Nazis noch mitgekämpft. Gottseidank überlebte er den Krieg, sonst wäre der Vater des Kellners nicht geboren.

 

Kopfschüttelnd geht der junge Kellner in sein Quartier und fragt sich, was die Menschen wohl in 100 Jahren über den Krieg wissen und sagen, in dem so viele seiner Schulkameraden schon umkamen. Wie viele Nachkommen von denen gibt es nun nicht.
Wie sinnlos ist das alles.
Und warum soll es eine Ehre sein, sein Leben für eine solche Sinnlosigkeit, wie Krieg, zu opfern?

 

Er trinkt einen Tee und liest bedrückt die neuesten Nachrichten von daheim.

 

2023